Estrid Bjarnisdottir – und der Handel in Haithabu

 

Estrid Bjarnisdottir ist das Weib des Jari Eggersson, Tochter von Bjarni Ottarson und Hildigunn.

 

Nach der schicksalhaften Gründung von Haithabu, der Stadt auf der Heide, zogen Anfang des 9. Jahrhunderts viele freie Händler und Kaufleute vom norwegischen Skiringssal nach Haithabu. Zu diesen gehörten auch die Familien von Bjarni und Hildigunn. Bjarnis Eltern waren angesehene Händler, die hauptsächlich mit Fellen und Bernstein handelten, während Eirik, Hildigunns Vater als Tischler und Schiffsbauer nach Haithabu geholt wurde, um an der berühmt berüchtigten Haithabuflotte mitzubauen. Die Stadt, die zu Beginn des 9. Jahrhundert hauptsächlich von Kriegern und Sklaven bewohnt wurde, erlebte im Jahre 808 eine starke Veränderung. König Gudröd plünderte und zerstörte die slawische Handelsstadt Reric (nahe dem heutigen Wismar), die seinem großen Traum von der See- und Handelsherrschaft an der Ostsee ein Dorn im Auge war. Er verschleppte die Kaufleute nach Haithabu. Durch diese Maßnahme wurde der Ost-West-Handel nach Haithabu verlegt.

 

Bjarni und Hildgunn wuchsen somit in einer Stadt auf, die aus unterschiedlichsten Kulturen und Völkern bestand. Als Nachbarskinder aufgewachsen heirateten sie im Jahre 823. Zur selben Zeit besuchte ein Mönch Haithabu, Ebo von Reims, dessen Bekehrungsversuche auf Initiative des getauften Haithabukönigs Harald Klak nicht sehr fruchteten. Harald Klak wurde von Erik aus Haithabu vertrieben, so dass der alte Väterglaube bewahrt wurde.

 

830 wurde Estrid als zweite Tochter von Bjarni und Hildigunn, die gemeinsam die Kaufmannsgeschäfte der Familie betrieben, geboren. Zu dieser Zeit war Haithabu bereits eine wichtige Handelsstadt geworden. In Haithabu trafen sich norwegische, schwedische und dänische Händler, die mit ihren Waren den Ochsenweg entlang nach Süden wollten; es wurde aber auch oft von friesischen und fränkischen Kaufleuten besucht, die vom Niederrhein kamen und über die Nordsee in die Ostsee wollten, um mit Ostskandinavien und Rußland Handel zu treiben.

 

Zunächst exportierten die Wikinger Bernstein, der vor allem in Norddeutschland sehr begehrt war. Später kamen weitere Exportgüter wie Rentierhorn, Walroßelfenbein und Felle hinzu. Letztere waren Prestigeobjekt für den hohen Adel Europas. Das wichtigste Handelsprodukt jedoch waren Sklaven. Sie wurden auf den weiten Reisen der Wikinger gefangen genommen und anschließend verkauft. Importgüter waren Werkzeuge, die die Wikinger nicht selbst herstellten und Luxusartikel wie Brokate aus Byzanz, waidblau gefärbte Wollstoffe aus Friesland, angelsächsische Stickereien, Seide aus China, Weißwein aus dem Rheingebiet, buntes fränkisches Glas und vor allem Edelmetalle wie Gold und Silber. Im 8./9. Jh. wurden reiche Silbervorkommen in Kufa (Mesopotamien) entdeckt, woraufhin sich der Handel sehr stark nach Osten orientierte.

 

 

Es war eine emsige Geschäftigkeit in der Estrid aufwuchs. Ihre große Schwester Thora verließ schon bald das Haus, um einen fremdländischen Händler aus dem Orient zu heiraten. So sollte Estrid das elterliche Geschäft übernehmen und wurde entsprechend erzogen. Sie lernte früh lesen, schreiben und rechnen. Dies verdankte sie einem Gelehrten namens Arold aus den Süden, der als Sklave in das elterliche Haus gekommen war. Doch auch ihre hausfraulichen Pflichten erfüllte sie, indem ihre Mutter ihr das spinnen und weben beibrachte. Sie wuchs behütet auf, und als der ein oder andere Kampf um Haithabu entbrannte, flüchtete die Familie kurzzeitig nach Sliasthorp (das heutige Schleswig), einer Nebensiedlung nördlich von Haithabu, um nach Beendigung der Kämpfe wieder nach Haithabu zurückzukehren.

 

 

 

850 heiratete Estrid Jari, den Zwerg Eggersson, dessen stattliche Erscheinung sowie kriegerisches und handwerkliches Geschick ihr Herz für ihn öffnete. Im selben Jahr kam es zu einem weiteren Christianisierungsversuch durch Ansgar von Bremen und zum Kirchenbau in Haithabu. Dadurch blühte der Handel auf, da die Kaufleute sich in der Stadt sicherer fühlten. 856 verlor Estrid im dritten Kriegssommer in Folge ihre Eltern, da ihnen nicht rechtzeitig die Flucht gelang. Ihr Mann Jari, der für die Verteidigung der Stadt zur Waffe gerufen wurde, wurde schwer verletzt. Lange musste Estrid um das Leben ihres geliebten Mannes bangen. Als dieser Dank seiner Mutter Sibbe wieder genesen war, führten Estrid und Jari gemeinsam die Geschäfte ihrer Eltern. Unterstützt wurden sie von Arold, dem Sklaven, den sie zwar in die Freiheit entließen, der aber bei Ihnen blieb. Haithabu bekam eine eigene Münzprägestätte und der Handel erreichte seinen Höhepunkt. Estrid und Jari erreichten durch geschicktes Handeln besonders mit Gewürzen und Färbemittel aus dem Orient ein recht ansehnliches Vermögen und gehörten zu den wohlhabendsten Bürgern Haithabus.

 

Doch das Glück war nur von kurzer Dauer, denn im Jahre 862 griffen die Söhne Ragnar Lodbroks Haithabu von der Seeseite an, zerstörten die gesamt Haithabuflotte und legten Feuer in der dicht mit Holzhäusern besiedelten Stadt im Ringwall. Estrid floh mit ihren Mann und dessen Mutter aus der brennenden Stadt. Auf der Flucht starb Sibbe. Jari und Estrid erreichten mit einer Reihe von Flüchtlingen, hauptsächlich Handwerker und Kaufleute, die Ansiedlung Sliasthorp (heute Schleswig) und siedelten sich dort an.

 

 

 

 

 

 

Schleswig wurde im Jahre 804 erstmals als Sliasthorp (Bucht der Schlei) erwähnt. Die Endung thorp verweist darauf, dass es sich um eine Nebensiedlung handelt, vermutlich von der gegenüberliegenden Stadt Haithabu. Die Frage, ob die Keimzelle der heutigen Stadt Schleswig erst nach dem Fall von Haithabu gegründet wurde oder schon vorher Bestand hatte, wird bislang in der Forschung kontrovers diskutiert. Jedenfalls übernahm das mittelalterliche Schleswig das Erbe Haithabus als bedeutendste Drehscheibe des nordeuropäischen Handels mit dem schon seit der Wikingerzeit bestehenden Westhafen Hollingstedt.

 

 

Fern von jeglichen Thronstreitigkeiten, die sich lediglich auf die als unbezwingbar geltende Stadt Haithabu beschränkten, blühte in der kleinen Siedlung der Handel auf. Estrid spezialisierte sich auf die Herstellung von Zierrat (Glasperlen, brettchengewebte Borten und Gürtel) und handelt mit so mancherlei wundersamen Dingen sowie mit Fellen und Schmuck. Dank einer Orientreise zu Estrids Schwester Thora, die Jari im Jahre 865 unternahm, konnte die Handelsware Seide sowie Silber eingeführt werden. Die guten Kontakte zu Jaris Schwestern, die nach Skiringssal verheiraten worden waren, erschloss ihnen weiterhin die Handelswaren Walrosszahn, Speckstein, Wetzstein und Rentiergeweihe.

 

 

Im Sommer schließen sich Estrid und Jari geschützten Händlern- und Handwerkertrossen an und bereisen die nordischen Länder sowie das Frankenreich bis an den Rhein in die Gegend von Köln und Aachen. Dies dient sowohl zum Verkauf der im Winter hergestellten Waren als auch zum Knüpfen neuer Handelsbeziehungen. Ihr Freund Arold, der ehemalige Sklave, kümmert sich derweil um das heimatliche Geschäft in Sliasthorp.